In den 80ern wurden mit der Rettung des Käfers Karl erste Erfolge errungen, heute werden ganze Bauprojekte von bundesweiter – ja sogar europaweiter – Bedeutung mit Blick auf die Nachfahren von Karl dem Käfer jahrzehntelang lahm gelegt oder sogar gänzlich verhindert.
Diese konsistente Lebenshaltung zeigt sich auch bei den pazifistischen Ansätzen: Gestern noch gegen die Stationierung von Pershing-Abwehrraketen demonstriert, und heute im Lichte einer Neuauflage des kalten Krieges konsequent auf etwaige Waffenlieferungen an osteuropäische Staaten verzichtet. Freilich möchte man dennoch Haltung zeigen und beweisen, dass man die Situation alles andere als auf die leichte Schulter nimmt. Und so stellt man jenen osteuropäischen Staaten in einem Akt von unbürokratischer Solidarität kurzer Hand 5000 Helme zur Unterstützung der Landesverteidigung zur Verfügung. Wer das als lächerlich bezeichnet, hat die tiefere konzeptionelle Komponente übersehen: Es handelt sich hier um Solidarität, so wie sie vor dem Hintergrund der kindlichen Naivität interpretiert wird. Die Kinder sind jetzt – wie in den 80ern eingefordert – endlich an der Macht: Spontan, naiv, wohlmeinend!
Etwa vergleichbar mit der Situation, dass ein 4-jähriger Knirps seinem halbwüchsigen Bruder einen Lolli schenkt, als er ihn von einer Gruppe älterer und deutlich größerer Nachbarjungen brutal zusammengeschlagen, schwer verletzt und kaum noch bei Bewusstsein am Boden liegend findet. Eine rührende Geste! Von ehrlicher, liebevoller Sorge und Solidarität getragen, keine Frage! Aber wird der Lolli den Bruder davor bewahren, an inneren Blutungen zu sterben? Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht.
In den Kreisen der nunmehr an die Macht gekommenen wohlmeinenden Kinder scheint man sich allerdings mit „gut gemeint“ zu begnügen: Man setzt auf Symbolpolitik statt auf Inhalt. Man setzt Zeichen statt sich um die reale Lösung der Probleme zu kümmern. Lichterketten, Gedenkveranstaltungen und Sprachsymbolik haben Hochkonjunktur. Und nun auch die Helmindustrie.
Man hat sich entschieden, alle Energien und Ressourcen auf die äußere Form der Darstellung zu verwenden, statt sich um den realen Nutzen, den materiellen Inhalt und vor allem um die Konsequenzen etwaiger Maßnahmen zu kümmern. Aber Letzteres würde natürlich auch dem kindlich naiven Ansatz widersprechen. Es bräuchte dann nämlich Weitblick statt Spontanität und realistische Einschätzungen – die gegebenenfalls zu unangenehmen Erkenntnissen führen – statt Naivität. Zweifellos ist es zu begrüßen, wenn Entscheidungen von wohlmeinenden Gemütern getroffen werden, ich persönlich würde mich jedoch dennoch deutlich wohler fühlen, wenn sie in erster Linie von fundierten Kenntnissen der jeweils zur Entscheidung stehenden Thematik getragen wären. Aber – wie gesagt – das sieht man bei den Kindern an der Macht eben anders: „form over substance“! Deshalb suchen sie nun auch ihr (und unser aller) Heil in der Bestellung eines Parlamentspoeten. Ein Hoch auf die Lyrik! Und ich bin sicherlich die Letzte, die das nicht ernst meinen würde.
Nun ist das Parlament allerdings die Legislative unseres Staates und nicht das Kammertheater. Das heißt, es werden dort Gesetze beschlossen und keine Komödien aufgeführt. Zumindest sollte es so sein, aber ich gebe zu, die Grenzen sind fließend. Welches Signal sendet also die Bestellung eines Parlamentspoeten? Auf jeden Fall ein antizyklisches Signal! Den Kindern an der Macht scheint es gelungen zu sein, sich neben ihrer kindlichen Naivität auch ihren kindlichen Trotz bewahrt zu haben. Während weltweit eine klare Tendenz bei der Gesetzgebung zu einem „substance over form“-Ansatz geht, scheinen die Kinder an der Macht trotzig in die entgegengesetzte Richtung schreiten zu wollen und mit Hilfe des Parlamentspoeten die Gesetze künftig „form over substance“-mäßig, lyrisch ansprechend gestalten zu wollen. Der deutsche Sonderweg eben. Wie immer. Aber vielleicht wurde dieser Ansatz ja auch zuvor – von der Öffentlichkeit unbemerkt – mit den Europäischen Partnern abgestimmt? Wer weiß!